Der Dieb und die Hunde

Sunday 12 August 2018

Auf meiner Leseliste für diesen Sommer standen zu Beginn der Ferien drei Titel: "Max Mannheimer. Drei Leben" verfasst von Marie-Luise von der Leyen, der englische Titel "The left hand of darkness" von Ursula LeGuin und "Der Dieb und die Hunde" von Nagib Machfus. Ehrlicherweise habe ich es bisher nur geschafft, den Roman von Machfus zu lesen. Die Hitze hat sich in den vergangenen Wochen eindeutig auch auf meine Lesegeschwindigkeit ausgewirkt. Alles geht ein wenig langsamer, zumindest ohne Klimaanlage im Haus... aber immerhin, Machfus' Klassiker habe ich geschafft.

Der Roman findet sich im übrigen auf der IB-Leseliste (PLT), sodass der Text auch für den Lang & Lit-Kurs geeignet ist. Mit nur 150 Seiten ist das Lesepensum zudem gut zu schaffen. Falls Sie also auf der Suche nach einem neuen Werk für Part 3 sind, kann ich diesen Roman nur empfehlen. Er lässt uns eintauchen in die Psyche und Gedankenwelt des Protagonisten Said Muhran, der von unaufhaltsamer Rache getrieben zum Mörder wird. Geradlinig, ohne Umwege und mit großer Intensität zieht Machfus den Leser in die seelischen Nöte und Abgründe der Hauptfigur hinein, nur schwer findet man Distanz zu diesem Helden, der zielsicher auf seinen Untergang zusteuert. Zwischendurch hofft der Leser dann doch, dass Said sich besinnen möge, zumindest mir ging es so, doch besessen von dem Gedanken seinem Leben durch Rache einen Sinn zu verleihen, tötet Said zweimal, allerdings zweimal den Falschen. Die Absurdität der Situation, die Machfus in seinem Werk darlegt, trägt deutlich existenzialistische Züge. Wer "Der Fremde" von Albert Camus gelesen hat, wird sich auf gewisse Weise an Meursault, den Protagonisten dieses Romans, erinnert fühlen. Die Parallelen liegen vor allem in der Sinnlosigkeit und Zufälligkeit der ausgeübten Morde, die wiederum die Absurdität der menschlichen Existenz spiegeln. Doch während Meursault in dieser existenzialistischen Welt ohne Sinn gleichgültig, ohne Verantwortung und echte Emotionen von einem Tag in den anderen lebt, ist Said besessen von einer Sinngebung durch Rache. Er will "die Hunde" kriegen, die in seinen Augen für alles Schlechte, das ihm widerfahren ist, verantwortlich sind.

Der Roman beginnt mit der Gefängnisentlassung des Protagonisten: Vier Jahre hat Said wegen Diebstahls im Gefängnis verbracht, doch bei der Entlassung steht er vor dem Nichts: Seine Frau Nabawija hat ihn verlassen und lebt mit der gemeinsamen Tochter Sina an der Seite ihres Liebhabers Alisch, einem alten Freund Saids. Nabawija und Alisch sind die Verräter, "die Hunde", die Said vernichten will, nicht zuletzt auch um seine sechsjährige Tochter Sina wieder bei sich haben zu können. "Denn nun war die Zeit der Abrechnung gekommen. Wie eine lodernde Flamme würde er sie vernichten" erfährt der Leser gleich zu Beginn des Romans. Dann gibt es noch den alten Freund Raouf Alwan, mit dem Said einst revolutionäre Träume und Ideale für eine gerechtere Gesellschaft verbunden haben, der sich aber inzwischen als etablierter Journalist im ägyptischen Establishment eingerichtet hat und von einer gemeinsamen Vergangenheit nichts wissen will. "Said, heute ist nicht gestern. Ich war einmal ein Dieb, und du warst, aus Gründen, die du kennst, mein Freund. Aber ich sage noch einmal, heute ist nicht gestern", mit diesen Worten lässt Raouf Said in aller Deutlichkeit abblitzen. Said ist auf sich selbst zurückgeworfen und reflektiert seine Situation mit den folgenden Worten: "Nun stehe ich da - ohne Wurzeln, ohne Wert, ohne Hoffnung". Perspektivlos und verbittert gelingt es Said nicht, echte Verantwortung für sein Leben zu übernehmen - für ihn besteht die einzig denkbare Sinnstiftung in einem Rachefeldzug gegen jene, die ihn verraten haben. Selbst die aufrichtige Liebe Nurs, einer Prostituierten, bei der er vorübergehend nicht nur Unterschlupf sondern auch Geborgenheit findet, kann er in seinem Rachewahn und seiner Selbstbezogenheit nicht wahrnehmen.

Machfus arbeitet mit wechselnden Erzählperspektiven: Zum einen hält ein auktorialer Erzähler die Fäden in der Hand, doch gleichzeitig sorgen erlebte Rede und innerer Monolog dafür, dass der Leser unmittelbar in die Gedankenwelt des Protagonisten einsteigt. Jede Situation des Romans wird dem Leser durch beide Perspektiven vermittelt. Die Mordsituation liest sich auszugsweise zum Beispiel folgendermaßen: "Said drückte auf den Abzug, die Kugel pfiff wie nächtliches Teufelsgeheul. Der Mann schrie auf, brach zusammen, schien ihn aber noch zu erkennen, bevor er auf den Boden fiel. (...) "Mörder! Nun gehörst du also zur Mörderbande - eine neue Kategorie, ein neues Schicksal. Raub hässlicher Seelen statt kostbarer Dinge." Durch die immer wiederkehrenden inneren Monologe bekommt der Leser einen sehr genauen und geradezu suggestiven Einblick in die psychische Verfassung sowie psychologische Motivation Saids. Sein Handeln erscheint dem Leser (zumindest mir) beim ersten Lesen auf unheimliche Weise konsequent. Die Frage nach Moral und Verantwortung geschieht eigentlich erst auf einer zweiten Ebene. Dass der Weg Saids ein Irrweg ist, macht Machfus jedoch am Ende deutlich: "Er wollte nichts mehr, sah kein Ziel, keinen Sinn. (...) Alles war gleichgültig". Saids Existenz ist gescheitert.