Extended Essay 2018

Thursday 19 April 2018

Die letzten Tage der Extended Essay-Korrekturen sind angebrochen. Bis zum 1. Mai sollen die Arbeiten der Schüler korrigiert sein. Zum ersten Mal wird der Extended Essay nach den neuen Kriterien bewertet und so viel kann jetzt schon - aus eigener Erfahrung und im Austausch mit Kollegen- gesagt werden: die Reduzierung von elf auf nur fünf Kriterien macht es dem Prüfer leichter, den Überblick zu behalten. 
Einen hohen Stellenwert nimmt im neuen Bewertungssystem das eingereichte Reflections on Planning and Progress Form ein, das unter Kriterium E mit einer Punktzahl zwischen null und sechs Punkten bewertet wird. Auf dem Form werden die drei Reflective Sessions vom Schüler dokumentiert. Diese Reflektionen müssen auf Deutsch geschrieben werden; wenn diese auf Englisch formuliert werden - was leider vorgekommen ist - gibt es null Punkte für Kriterium E. Verlangt wird, um eine hohe Punktzahl zu erreichen, das kritische Reflektieren. Zu häufig bleiben die “Reflexionen” unkritisch, allgemein oder rein deskriptiv. Der neue Syllabus verlangt jedoch kritisches Reflektieren: Das heißt, der Prüfer möchte erfahren, inwiefern die Besprechung mit dem Supervisor die Arbeits- bzw. Vorgehensweise verändert bzw. beeinflusst hat? Wie ist der Kandidat mit bestimmten Hinweisen des Supervisors umgegangen? Der eigene Lernprozess soll reflektiert werden. Dabei ist es wichtig, dass der Prüfer die "Stimme" des Schülers, nicht die des Supervisors, in den Reflections hören kann.
Das Critical Thinking (Kriterium C) hat mit dem neuen Syllabus entscheidend an Bedeutung gewonnen. Das schlägt sich sichtbar in einer hohen, maximalen Punktzahl von 12 Punkten für Kriterium C nieder. Das Erreichen einer hohen Punktzahl erfordert hier eine zielgerichtete, durchgehend auf die Forschungsfrage bezogene Argumentationsstruktur im Hauptteil, sowie eine kritische Auseinandersetzung mit den angeführten Argumenten und der Sekundärliteratur. In vielen Essays ist noch zu beobachten, dass Kandidaten vor allem referieren, das heißt die wissenschaftliche Sekundärliteratur nur wiedergeben anstatt sie kritisch anzuwenden. Es gibt immer noch lange Kapitel, in denen Theorie-Abhandlungen referiert werden. Die Erwartung des Prüfers wäre allerdings, dass der wissenschaftliche Hintergrund gezielt zum Beleg, zur Unterstützung oder zur Widerlegung der EIGENEN Argumentation in die Analyse eingebaut wird. Das unkritische Übernehmen der wissenschaftlichen Sekundärliteratur führt unter Kriterium C zu hohem Punktabzug. Hier sind Sie als Supervisor gefragt: Weisen Sie den Schüler darauf hin, wenn Sie einen problematischen Umgang mit Sekundärliteratur erkennen.
Das Formulieren der Research Question bleibt auch im neuen Bewertungssystem das A und O. Unter Kriterium A wird bewertet, ob die Frage bzw. das Thema klar formuliert bzw. überhaupt geeignet ist. Worauf soll der Extended Essay hinauslaufen? Welches Ziel wird verfolgt? Darüber müssen sich Kandidat und Supervisor von Anfang an im Klaren sein. Ich erinnere mich an die folgende Research Question: "Welchen Einfluss hatte Martin Luther auf die Bildung der überregionalen neuhochdeutschen Schriftsprache? Dieses Thema gleicht, so wie es formuliert ist, einem Fass ohne Boden. So war es dann auch: Der Kandidat kommt am Ende des Essays zu der Schlussfolgerung - nachdem lange theoretische Abhandlungen von diversen Linguisten zur deutschen Sprachgeschichte etc. referiert werden - dass der Einfluss Luthers "nun doch nicht so ganz genau zu bestimmen sei". Das hätte, wenn nicht dem Kandidaten, dann zumindest dem Supervisor, vorher klar sein können. Das Thema an sich hätte durch eine sehr gezielte Eingrenzung - indem zum Beispiel der Fokus auf einen bestimmten Text Luthers gelegt worden wäre - durchaus ein Erfolg werden können. Das Fazit lautet also: Die Reaserch Question muss passen!
In einigen Wochen werden Sie die Ergebnisse für die Extended Essays Ihrer eigenen Schüler erfahren. Vorerst gibt es keine Beispielessays vom IB, die nach den neuen Kriterien bewertet wurden. Sie können davon ausgehen, dass die auf unserem Subject Site vorgestellten Essays, die gut bewertet wurden auch im neuen System nicht plötzlich schlecht abschneiden würden. Was einen guten Essay ausmacht, diese Vorstellung hat sich 2018 nicht drastisch verändert. Was sich verändert hat, ist die höhere Gewichtung der wissenschaftlichen und reflektierenden Arbeitsweise. Ohne Zweifel eine Herausforderung an Lehrer und Schüler gleichermaßen. Sollten Sie einen Schüler haben, der für seinen Extended Essay ein A im neuen System bekommen hat, können Sie diesen Essay gerne - mit Erlaubnis des Schülers - auf unserem Site für die anderen Deutschlehrer veröffentlichen.